Die Ewige Stadt in einem besonderen Blickwinkel

Vom 17. bis zum 18. November 2022 wurden 4 deutsche Bildhauer*innen von dem italienischen nationalen Verband „Associazione Nazionale Reduci dalla Prigiona, dall'Internamento, dalla Guerra di Liberazione e loro familiari“ (ANRP) eingeladen, an einer organisierten Bildungsreise im Rahmen eines Kunstwettbewerbs teilzunehmen. Im Verlauf der Bildungsreise besuchten die Künstler*innen mehrere Erinnerungsstädten und Museen in Rom, durch welche sie von den fachkundigen Historikern und Zeitgeschichtsexperten Herr Dr. Lutz Klinkhammer und Signore Amedeo Osti Guerrazzi geführt wurden. Begleitet und betreut wurden sie dabei stets von der Autorin, Linguistin und dem ANRP-Nationalratsmitglied Cinzia Pierantonelli und von der deutschen Kommunikationsdesignstudierenden Juliane Hennig, während die rumänische Fotografin Oana Halmagean die Gruppe und ihre Reisestationen dokumentierte.

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So fand sich am Morgen des 17. Novembers bei strahlendem Wetter die gesamte Gruppe im Konferenzraum des Museums „Vite di IMI“ (Leben der Italienischen Militärinternierten) im Herzen Roms ein. Von den geladenen Künstler*innen waren angereist: der in Berlin frei-schaffende Bildhauer Lukas Liese, die aus München stammende, seit Jahren in Rom lebende Bildhauerin Janine von Thüngen und der Bilderhauer Ulrich Müller, welcher von seinem Lehrstuhl an der Accademia di Carrara per Zug kam. Live über einen Videocall zugeschaltet war die Bildhauerin Anica Huck von ihrer temporären Residenz im schneebedeckten Estland. Als Einführung in die Thematik der Reise und auch des Wettbewerbs diente ein kurzer Rundgang durch die Ausstellungsräume des Museums, wo durch die sorgsam kuratierten Zeitdokumente, den mehrsprachigen Audioguide und das Design der Ausstellungsvitrinen aus Stahl und Spanplatten eindrücklich die Geschichte der in deutsche Konzentrationslager verschleppten und dort internierten italienischen Militärs erzählt wird, nachdem diese am 8. September 1943 die Kooperation mit den deutschen Besatzungsmächten verweigert hatten. Das Museum setzt sich dafür ein, diesen Teil italienischer Geschichte bekannt zu machen und in Erinnerung zu halten, beispielsweise durch den Konferenzraum im Museum, in welchem Vorträge und Diskussionen organisiert werden können. Aber auch durch den sogenannten „Erinnerungshof“, der Innenhof des Museums in dem bereits zahlreiche Kunstskulpturen die Schicksale der Internierten zum Ausdruck bringen und zu denen ein weiteres Werk hinzukommen soll, geschaffen von einer oder einem der deutschen Bildhauer*innen. Zurück im Konferenzraum begann eine Vorstellungsrunde aller Teilnehmenden, inklusive einer Bekanntmachung mit dem Initiator des Erinnerungshofes und Ehrenpräsidenten der Organisation ANRP Signore Enzo Orlanducci, sowie mit Signore Prof. Nicola Mattoscio, dem Nationalpräsidenten der ANRP und Stifter der Pescarabruzzo Stiftung. Herr Dr. Klinkhammer klärte die Gruppe außerdem als Experte und Mitglied der Deutsch-Italienischen Historikerkommission über die interessanten Unterschiede zwischen deutscher und italienischer Erinnerungskultur auf und erläuterte die Kontexte, in welchen sich der im Museum diskutierte Teil deutsch-italienischer Geschichte abspielte.

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Nach einem gemeinsamen, typisch-italienischen Mittagessen, bei dem sich die Gruppe zwischen römischer Spaghetti Carbonara, Tiramisu und Rotwein weiter besser kennenlernte, fuhr man zu den „Adreatinischen Höhlen“ ein Stück außerhalb von Rom. Durch ein bronzenes Tor betritt man dort ein großes Gelände, zu dessen einer Seite eine hohen Steinstatue von drei Männern, Rücken an Rücken, aufragt, dahinter eine riesige Steinplatte, die einen Hügel zu bedecken scheint, zu anderen Seite die Eingänge in die ausgebauten Höhlen. Herr Dr. Klinkhammer führte die Besichtigung und erzählte der Reisegruppe von der Geschichte dieser Gedenkstätten des 2. Weltkriegs, auch genannt „Adreatinische Gräber“. So verweist die monumentale „Opfergruppe“ aus Travertin auf die 335, an diesem Ort ermordeten Häftlinge, die je in Gruppen von drei in die natürlichen Höhlen geführt worden, um dort von deutschen Nationalsozialisten unter dem Kommandeur Herbert Kappler erschossen zu werden. Diese Gräueltat ereignete sich am 24. März 1944 als Vergeltung auf ein Bombenattentat, das römische Widerstandskämpfer am Tag zuvor auf eine patrouillierende SS-Gruppe verübt hatten und dabei 32 deutsche Soldaten töteten. Die in den Höhlen ermordeten Menschen hatten dabei nichts mit diesem Attentat zu tun, sondern wurden nur als zufällig ausgewähltes Exempel benutzt, nachdem auf Befehl Hitlers aus Berlin für jeden getöteten Deutschen 10 Italiener getötet werden sollten, um das italienische Volk zu terrorisieren und den Widerstand einzuschüchtern. Nach dem Krieg wurden die Opfer aus den Höhlen geborgen und mühsam identifiziert, was in einigen Fällen bis heute andauert. Beigesetzt wurden die 335 Personen unter der großen Steinplatte, welche wie eine gigantische Grabplatte als Dach der Begräbnisstätte dient. Diskussionen zu Möglichkeiten der Aufarbeitung und zu Moralfragen dieser Geschichte beschäftigten die Gruppe im Gespräch mit Herr Dr. Klinkhammer, als gemeinsam das Gelände besichtigt wurde.

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Zurück im Zentrum Roms folgte die letzte Besichtigung des Tages: das Museum der Befreiung in Via Tasso. Erneut wusste Herr Dr. Klinkhammer mit seinem ausführlichen Wissen durch die Räumlichkeiten zu führen und von den lange unbekannten Geschichten zu berichten, die sich dort hinter einer unscheinbaren Wohnungshausfassade ereignet haben.

So befand sich hier nämlich von 1943 bis 1944 die geheime Kommandozentrale der römischen Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdiensts (SD) der SS unter Kommandeur Kappler. In einem kleinen Vorlesungssaal, der früher zur Hälfte als Verhörzimmer diente, sammelte sich die Reisegruppe um Herr Dr. Klinkhammer und bekam die Möglichkeit durch die von den Sicherheitspolizisten angelegten und nach dem Krieg nur selten erhaltene Karteikarten zu den Insassen zu sehen. Darauf, in deutschem Sütterlin geschrieben, immer ein „Grund“ zur Festnahme – was auch schon nur „Jude“ sein konnte. Herr Dr. Klinkhammer verwies die Gruppe auf einen Zeugenbericht eines Insassen nach dem Krieg, der dazu beitragen konnte, die Zentrale zu lokalisieren: auf dem Verhörtisch liegend hatte der Festgenommene aus dem Fenster Kreise sehen können. Die Gruppe hatte die Möglichkeit nach rechts aus demselben Fenster zu sehen und konnte erkennen, dass die Eingangstür des gegenüberliegenden Gebäudes kreisförmige Ornamente ziert, dieselben, auf die der Mann damals aufmerksam wurde. Über mehrere Etagen besichtigten die Reiseteilnehmer die zu Ausstellungsräumen umgestalteten Zellen und konnten Zeitdokumentente wie Originalplakate und Nachrichtenseiten betrachten, sowie die geritzten Inschriften in den Wänden, die Manifeste, Gedichte und einfach Nachrichten darstellen. In dem weniger als einem Jahr, in dem die Zentrale mit ihren Gefängniszellen aktiv war, wurden hier circa 2000 Menschen festgehalten.

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Auch am zweiten Tag der Bildungsreise trafen sich die 4 Bildhauer*innen morgens wieder gemeinsam mit Signora Pierantonelli, Signora Halmagean und Signora Hennig im Konferenzraum des Museums „Vite di IMI“ zur weiteren Besprechung der Ideen und Bedingungen des Wettbewerbs. Dafür stoß der Jury Chef und Bildhauer Signor Gianluca Murasecchi zu der Gruppe hinzu und besprach sich mit den Wettbewerbsteilnehmenden zu den bisherigen Inspirationen, den Vorstellungen des Museums und den möglichen Eckdaten für das ausgeschriebene Kunstwerk. Anschließend besichtige man den Erinnerungshof und die Skulpturen, die hier bereits ausgestellt werden. Frau Huck wurde dabei erneut per Videocall durch das Handy quasi mit in den Garten genommen und konnte so virtuell an der Besichtigung teilnehmen. Bereits jetzt sind die Werke sehr international und beschäftigen sich mit verschiedenen Aspekten der Schicksale der internierten italienischen Soldaten, wie der Gefangenschaft im Lager oder dem Tod auf einem der Todesmärsche. An einem freien Wandsegment im Hof soll das neue, deutsche Kunstwerk angebracht werden und die Bildhauer*innen konnten sich untereinander austauschen, welche Möglichkeiten diese Fläche bieten würde. Spontan kam auch erneut Ehrenpräsident Signore Enzo Orlanducci hinzu und konnte den interessierten Teilnehmenden sein Verständnis von Erinnerung und Erinnerungskultur erläutern.

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Nach einem weiteren leckeren und geselligen Mittagessen im Kreis der Reisegruppe traf man sich nach kurzer Anfahrt im Circo Flaminio am Portico d’Ottavia, im ehemaligen jüdischen Ghetto Roms, mit dem Historiker Signore Amedeo Osti Guerrazzi. Als Experte für die italienische Geschichte unter Faschismus, deutscher Besatzung und der Shoa in Italien konnte er zahlreiche Einzelschicksale aus dem Ghetto erzählen und die Gruppe durch die belebten, historischen Straßen führen, wo auch heute noch ein Restaurant geöffnet ist, dass sowohl Juden durch die Hintertür auf der Flucht vor SS und SD Truppen half, als auch Kappler selbst als Lieblingsrestaurant diente. In den Gassen des auch heute noch von jüdischen Familien bewohnten Stadtgebiets verwies Signor Guerrazzi die Gruppe auf einzelne Fenster und wusste von italienischen, mit Nationalsozialisten kooperierenden „Judenjägerbanden“ zu berichten, von einem Mädchen, dass ihrem Liebhaber in einer Widerstandsvereinigung verraten konnte, welche Juden als nächstes von ihrem Onkel deportiert werden sollten, so dass diese gewarnt werden konnten, aber auch von einem jüdischen Mädchen, dass sich in einen Feind verliebte und alle ihre versteckten Freunde verriet. 

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Nach dieser abschließenden Besichtigung verabschiedete sich die Gruppe offiziell voneinander, dankbar für die vielen Eindrücke und voller neuem Wissen und Inspiration. Da das angemietete Fahrzeug auch für den Rest des Nachmittags noch zur Verfügung stand, nutzten Lukas Liese, Oana Halmagean und Juliane Hennig gemeinsam die Gelegenheit, im außerhalb gelegenen Stadtviertel EUR das neoklassizistische Bauwerk „Palazzo della Civiltà Italiana“, auch genannt „quadratisches Kolosseum“, aus der Zeit des italienischen Faschismus zu besichtigen. Das elegante Gebäude wurde einst von Benito Mussolini geplant und ihm gewidmet – die Fensterbögen stehen in ihrer Anzahl vertikal für seinen Vor- und horizontal für seinen Nachnamen. Auf diesen historischen Kontext lässt den Unwissenden heutzutage allerdings kaum etwas schließen, das Bauwerk beherbergt nun die römische Zentrale des Fashionunternehmens „Fenti“. Mit dieser Besichtigung endete der Tag auch für die letzten drei Bildungsreiseteilnehmenden.

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Drei Tage später, am Montag den 21. November 2022 reiste der Künstler Lukas Liese als Abschluss an die Accademia di Belle Arti in Macerata, wo er im Rahmen des Skulptur- und Bildhauerkurses für Studierende und interessierte Professor*innen einen Vortrag über seine Arbeiten und Arbeitsweisen in seinem Atelier in der Michelangelo Straße in Berlin, hielt. Hierbei wurde er begleitet von der örtlichen Erasmusoffice-Leitenden Professoressa Teresa Marasca und von der Studierenden Juliane Hennig, die vor Ort ein Erasmusjahr verbringt. Zu dem Vortrag versammelten sich zahlreiche Studierende und fanden Interesse an Herr Lieses Werken, wie auch dem internationalen, interkulturellen Austausch auf Englisch. Bei einem abschließenden Kaffee im Atelier wurde mit Professor*innen die Idee diskutiert, italienische Studierende zu einem Praktikum zu Herr Liese nach Berlin zu entsenden und in jedem Fall die Bekanntschaft aufrechtzuerhalten. Anschließend lud Frau Hennig Herr Liese noch zu einer kurzen Stadttour durch die kleine Studierendenstadt Macerata ein, wonach Herr Liese die Rückfahrt nach Rom antrat, um von dort wieder nach Deutschland zurückzukehren.

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Insgesamt war die zweitägige Bildungsreise für alle Teilnehmenden eine höchstinteressante und -inspirierende Veranstaltung, sowohl durch das erlangte und so gut vermittelte historische Wissen, wie auch durch den ermöglichten interkulturellen und intergenerationellen Austausch, zwischen den Teilnehmern aus verschiedenen Nationen, verschiedenen beruflichen Hintergründen und verschiedenen Arbeitsweisen. Die Organisation der einladenden ANRP nahm alle Teilnehmer sehr einladend auf und ermöglichte diese außergewöhnlichen Tage. Gespannt können nun die Entwurfsvorschläge der Bildhauer*innen und das finale, realisierte Kunstwerk im Museum „Vite di IMI“ erwartet werden.